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Ärzteverband: Politik erkennt Kernprobleme der Gesundheitsversorgung nicht

Ein Gastbeitrag von Dr. Hanjo Pohle, Vorsitzender des Hartmannbundes Brandenburg

In einem der weltbesten Gesundheitssysteme der Welt ist es üblich geworden, durch unwissenschaftliche, unorthodoxe Analysemethoden von Beamten und Politikern zu Diagnose und Therapie des Systems zu kommen. Das beabsichtigte Service- und Versorgungsgesetz ist ein Prototyp von Fehlbeobachtung und Fehleinschätzung. Folglich, aber konsequent, kommt man bei Falschanalyse der gegenwärtigen Situation zu entsprechenden Einschätzungen, welche bar jeglicher Realität nur noch Kopfschütteln zur Folge haben.

Weder Ärztemangel, Wartezeiten oder „Zwei-Klassen-Medizin“ sind die wirklichen Kernprobleme des Gesundheitswesens, sondern die zunehmend schlechter werdende Gesundheitskompetenz der Patienten (Deutschlandstudie Kompetenz) und die nicht vorhandene Steuerung der Patienten im Dschungel des Gesundheitssystems. Sie sind die Stellgrößen, die eine wirklich zukunftsträchtige Gesundheitsversorgung ausmachen würden. Stattdessen vertrödelt sich die Politik mit Phantomspielplätzen wie Wartezeiten und Ausweitung von Sprechstunden.

Ärzte fordern Respekt, Anerkennung und angemessene Vergütung

Nach WHO-Kriterien liegt Deutschland an der Spitze der geringsten Wartezeiten, leider ist die Gesundheitskompetenz bei über der Hälfte der Bevölkerung mehr als problematisch und führt zu unkalkulierbaren Entwicklungen. Als Antwort darauf oder als Ausdruck der Ignoranz der Gegebenheiten wird nun eine ganze Ärztegeneration, welche jahrzehntelang weitaus mehr als 20 Stunden für ihre Patienten da war, regelrecht diffamiert und es wird ihnen jahrelange Faulheit unterstellt. Dabei ist es gerade diese Ärztegeneration, die das reformbedürftige Gesundheitssystem, welches von realitätsfremden Politikern und systemoptimierenden Krankenkassen regelrecht unterlaufen ist, am Leben erhalten hat.

Wertschätzung sieht anders aus, aber wir brauchen sie gar nicht, denn wir wissen, dass das Patientenwohl unseren Lohn darstellt. Trotzdem fordern wir, als Ärzte, nun Respekt und Anerkennung aus Gesellschaft und Politik, ja auch angemessene Vergütung und Spielraum in der Selbstverwaltung, denn wir wissen, wie es funktioniert.

Ein Systemwechsel muss her. Nur so sind zukünftige Herausforderungen zu meistern.

Der Hausarzt als Dreh- und Angelpunkt, als Primäransprechpartner für unsere Patienten, stellt die Schlüsselfigur im System der qualifizierten Steuerung unserer Patienten dar. 80 Prozent aller Krankheiten sind in der Allgemeinmedizin zu versorgen oder einer speziellen gebietsärztlichen Versorgung zuzuführen. 82 Prozent aller Patienten wünschen den Hausarzt als ersten An- sprechpartner. 50 Prozent der 35- bis 44-Jährigen wissen nicht, welchen Gebietsarzt sie bei welchen Leiden aufsuchen sollen. Die Sachverständigenkommission Gesundheit empfiehlt als Steu- erungsmechanismus die hausarztzentrierte Versorgung, fast alle anderen europäischen Staaten vermeiden das Chaos des uneingeschränkten Zugangs aller Patienten zu allen Gesundheitsebenen und präferieren das Primärarztsystem. Dabei liegen die Vorteile auf der Hand.

Hausärzte diagnostizieren und im gegebenen Fall wird eine qualifizierte Überweisung die Gebietsärzte in die Lage versetzen, einen zu ihrem Fachgebiet passenden Patienten zu behandeln. Heutzutage müssen Gebietsärzte selbst selektieren und es werden primär Patienten behandelt, die gar nicht ins Fachgebiet passen, teilweise bekommen sie auch noch einen schnelleren Termin als jene Patienten mit Überweisung. Dies muss aufhören, da es kontraproduktiv im Sinne vernünftiger Gesundheitsversorgung ist und eben zu solch fragwürdigen Gesetzen führt, die wir jetzt beklagen. Und es wird zunehmend an Bedeutung gewinnen, da die Gesundheitskompetenz unserer Patienten im europäischen Maßstab zu wünschen übrig lässt.

Politik und Selbstverwaltung halten an Dogmen fest

Dabei ist die Sorge von Gebietsärzten, nicht genügend Patienten im neuen System zu erhalten, völlig unbegründet, wie Untersuchungen der KV Brandenburg zeigen konnten. In der Zeit, in der durch die Praxisgebühr eine halbwegs vernünftige Steuerung gelang, gab es keinen Scheinzahleinbruch, nein es erschienen nur mehr wirklich indizierte, gebietsspezifische Patienten. Dies führt zu weniger Wartezeiten, zu zufriedenen Patienten und Ärzten.

Weshalb passiert nun nichts? Weil Politik und zunehmend auch Selbstverwaltung an Dogmen festhalten, wie freie Arztwahl und Patientenautonomie. Dinge, die die Basispatientenschaft gar nicht will, aber von Bundestagseliten immer wieder propagiert wird, als ob man damit Wahlen gewinnen könnte. Wie kommen wir nun raus aus dem Dilemma? Nun, indem wir es selbst machen.

Ziel ist die Steuerung des Gesundheitssystems aus einer Hand

Jede regionale Formation aus Hausärzten und Gebietsärzten, diesmal ein Vorteil des Landes Brandenburg, verpflichtet sich freiwillig nur noch grundsätzlich auf Überweisung zu arbeiten. Hier ist grundsätzlich im juristischen Sprachgebrauch gemeint, Ausnahmen sind also gestattet. Keine andere Regulierung ist dann noch nötig. Zufriedenheit und ein Gefühl der Selbstbestimmung eigener Gesundheitsversorgung werden wieder Einzug halten. Es sollte eine Plattform geschaffen werden, auf der sich freiwillig Ärzte eintragen, welche die Prinzipien der Primärversorgung anerkennen und unter diesen ihre Praxisstrukturen ausrichten.

Das betrifft sowohl Gebietsärzte, als auch Hausärzte. Die Patienten werden über die Vorteile der neuen Herangehensweise informiert und mit eben dieser vertraut gemacht (Befundübermittlung, Steuerung des Gesundheitssystems in einer Hand, schnellere Gebietsarzttermine etc.). Die freie Arztwahl ist horizontal gewährleistet (jeder Patient wählt einen Hausarzt und im Fachgebiet einen Gebietsarzt), die vertikale Arztwahl, nachweislich nicht zielführend, ist nicht die Regel. Der Hartmannbund Brandenburg und der Hausarztverband Brandenburg sind gemeinsam bereit, diesem Systemwechsel eine Stimme zu geben und brandenburgischen Ärzten eine Alternative aufzuzeigen.

(Dieser Beitrag erschien zuerst im Brandenburgisches Ärzteblatt11, Ausgabe 2018-7)

Zur Person

Dr. Hanjo Pohle ist Vorsitzender des Hartmannbundes Brandenburg und Vizepräsident der Landesärztekammer Brandenburg. Dr. Hanjo Pohle wurde 1957 in Leipzig geboren und studierte von 1979 bis 1984 an der Berliner Charité. Die Approbation erhielt er 1985, fünf Jahre später promovierte er und erhielt seine Facharztanerkennung. Seit 1991 trägt er die Zusatzbezeichnung Flugmedizin. In Rathenow führt Herr Dr. Pohle eine Praxis.

Der Allgemeinmediziner ist seit Gründung der Kammer im Jahr 1990 Mitglied der Kammerversammlung. Zu dieser Zeit wurde er auch Mitglied des Haushaltsausschusses. Ein Jahr später wählten ihn die Delegierten in den Kammervorstand, dem er seither angehört. Weitere berufspolitische Aufgaben: Er ist seit 1992 Mitglied des Prüfungsausschusses der Landesärztekammer Brandenburg und seit 1993 der Finanzkommission der Bundesärztekammer. Der Deutschen Akademie für Allgemeinmedizin gehört Dr. Pohle seit 1997 an. Am 6. September 2008 wählte ihn die brandenburgische Kammerversammlung zum wiederholten Male in den Kammervorstand. Im Jahr 2012 wurde er als zweiter Beisitzer erneut in den Vorstand der Landesärztekammer Brandenburg gewählt.


22. November 2018

Gastbeitrag von Dr. Hanjo Pohle, Vorsitzender des Hartmannbundes Brandenburg und Vizepräsident der Landesärztekammer Brandenburg.

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