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Die Corona-Verordnung des Landkreises reaktiviert Ressentiments

Es heißt, Touristen zerstören das, was sie lieben. Aber tun Zweitwohnsitzler das auch? Wie viele Ex-Berliner sind eigentlich in den letzten Jahren nach Brandenburg ausgewandert? Und wie viele Ruppiner pendeln täglich zur Arbeit in Bundeshauptstadt? Die Corona-Verordnung von Landrat Ralf Reinhardt soll medizinische Infrastruktur und die Supermärkte im Landkreis OPR vor Überlastung schützen, aber tut sie das wirklich? Keine Frage, wir erleben eine außerordentliche Krise, die sich sowohl weltweit als auch in unserem Landkreis vollzieht. Womöglich ist es die größte Bedrohung von Leben und Gesundheit, die die Bundesrepublik Deutschland bisher durchgemacht hat. Aber nicht nur die Wirksamkeit der Anordnung, auch ihre Nebenwirkungen werden eine Reihe von Fragen auf. Der persönliche Versuch einer Einordnung.

von Oliver Numrich, stellv. Vorsitzender der FDP OPR

Berlin und Brandenburg als eine gemeinsame Region betrachten

1996 hatten Berlin und Brandenburg die Chance, zu einem Bundesland zu fusionieren, mit Potsdam als Hauptstadt. Bei der Volksabstimmung sagten die Berliner damals mehrheitlich ja, die Brandenburger allerdings stimmten dagegen. Inzwischen ist viel passiert: Etliche Ämter und Institutionen sind heute bundeslandübergreifend organisiert, darunter Gerichte wie das Oberverwaltungsgericht, das Landessozialgericht und Landesarbeitsgericht, der Rundfunk Berlin-Brandenburg mitsamt Landesmedienanstalt, das Amt für Statistik oder die Flughafengesellschaft. Außerdem erlebte die Hauptstadtregion einen wirtschaftlichen Aufschwung, der zumindest bis zur Corona-Krise anhielt, und von dem sowohl Berliner als auch die Brandenburger im Speckgürtel profitieren.

Der Austausch ist gegenseitig: Etwa ein Drittel aller Berufstätigen in Ostprignitz-Ruppin arbeitet ganz oder teilweise in Berlin, man nutzt die Kultur, die Gastronomie, die Einkaufsmöglichkeiten und die Fachärzte. Umgekehrt fahren die Berliner als Tagesausflüger oder Urlauber raus “aufs Land”, um hier die Natur und die touristischen Angebote zu erkunden und damit einen wichtigen wirtschaftlichen Beitrag zu leisten.

Übrigens war auch Theodor Fontane die meiste Zeit seines Lebens Berliner, der aber die Mark als Gast immer wieder aufs neue beehrte und ihr bekanntermaßen ein literarisches Denkmal setzte. Es wurde 2019 ausgiebig zelebriert – vielleicht erinnern Sie sich an das vergangene, glückliche Jahr…?

Im Übrigen verlegten in den letzten Jahren unter anderem aufgrund der steigenden Immobilienpreise und Mieten immer mehr Hauptstädter ihren Lebensmittelpunkt ins Nachbarland und bauten hier für ihre Familien Eigenheime oder besorgten sich zumindest einen Garten, einen Bungalow oder eine Zweitwohnung. Mit anderen Worten: Berlin und Brandenburg sind de facto als eine gemeinsame Region zu betrachten, die eng vernetzt ist. Es wäre aus vielen Gründen längst Zeit für einen zweiten Anlauf zur Fusion beider Bundesländer.

Besteht durch die Corona-Krise die Gefahr einer Überlastung des Landkreises durch Auswärtige?

Hintergrund der Verordnung ist nach meiner Kenntnis eine punktuelle Ansammlung von Touristen im nordöstlichen Teil des Landkreises, die aus Mecklenburg-Vorpommern ausgewiesen wurden. Bekanntlich haben wegen der Corona-Krise viele Bundesländer die Freizügigkeit ihrer Bürger stark eingeschränkt: Mecklenburg-Vorpommern genehmigt den Aufenthalt nur noch Menschen mit Erstwohnsitz. Zuvor hatten schon alle deutschen Inseln und vielfach die anliegenden Küstenregionen von Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen alle Urlauber ausgewiesen.

In der gesamten Bundesrepublik gilt ohnehin das Gebot der sozialen Isolation, das einschließt, auf jegliche private Reisen zu verzichten. Schleswig-Holstein untersagt zudem explizit den Besitzern von Zweitwohnungen aus Hamburg, diese zu besuchen. Kontrolliert wird das an den Ausfallstraßen durch die Polizei anhand des Autokennzeichens. Niedersachsen verbietet seinen Bürgern sogar, ihre Zweitwohnungen innerhalb des Bundeslandes aufzusuchen. Brandenburg ruft die Berliner dazu auf, insbesondere zu Ostern nicht ins Umland zu reisen. Fast alle Bundesländer arbeiten zurzeit an Gesetzen, mit denen Zuwiderhandlungen bestraft werden können.

Landrat Ralf Reinhardt steht also nicht allein mit seinem Beschluss. Auch in den anderen nördlichen Landkreisen Oberhavel und Uckermark gibt es Überlegungen zur Beschränkung der Freizügigkeit.

Und dennoch erscheint mir gerade der explizite Ausschluss von Zweitwohnungsbesitzern vom Zugang zu ihren gemieteten oder gekauften Wohnungen und Häusern als unangemessen. Denn die Zweitwohnsitzler haben nach meiner Meinung zumindest einen anteiliges Anrecht auf Nutzung der örtlichen Infrastruktur. Nicht nur, weil sie eine Zweitwohnungssteuer bezahlen, sondern weil sie auch ein Teil der Gemeinschaft vor Ort sind, sich hier regelmäßig aufhalten und im besten Fall auch einbringen.

Indem jetzt zwischen den Einheimischen und den Auswärtigen unterschieden wird, riskiert man, dass alte Vorbehalte wieder aufflammen: “Wir” gegen “die”. Der Nachbar von gegenüber, mit dem man jahrelang Grüße über den Zaun austauschte, fragt dann unvermittelt “Dürft ihr denn noch hier sein?” und meint das nicht besorgt, sondern feindselig (wahre Geschichte). Bei Facebook lese ich, dass die “Neureichen und Großkopfenden 2.Wohnsitzler” die “Gesundheit der Normalbürger” missachteten, nur um hin und herpendeln zu können. Im gleichen Post werden drakonische Strafen für diejenigen gefordert, die jetzt ihren Wohnsitz ummelden.

Eine stringente Steuerung von knappen Ressourcen in Krisenzeiten ist sinnvoll. Dabei kann auch die Zahl der Menschen mit  festem Erst- und Zweitwohnsitz als Anhaltspunkt dienen. Mehr sollte nicht davon abgeleitet werden, keine Recht auf Abschottung der Dauerbewohner gegenüber den Pendlern. Und die Landkreisverwaltung sollte auch bedenken, dass Berlin seine Stadtgrenzen nicht für die Menschen aus OPR schließt, sondern weiterhin alle einläßt, die dort arbeiten, einkaufen oder medizinisch versorgt werden müssen.

Die Krise mahnt uns, schnellstens das Verhältnis der Brandenburger zu den Berlinern zu klären und Ressentiments des einen gegen den anderen zu überwinden!

PS: Ob die massiven Einschränkungen der individuellen und wirtschaftlichen Freiheit tatsächlich gerechtfertigt sind, um das Corona-Virus bei seiner Verbreitung zu verlangsamen, wird man erst in einigen Monaten oder Jahren beurteilen können. Dabei sollte man auch Kollateralschäden wie die aufgeschobene Behandlung anderer Krankheiten und die seelischen Folgen von Ängsten, Isolation und Arbeitslosigkeit für die Betroffenen einrechnen. Die FDP wird dafür kämpfen, die Einschränkungen so schnell wie möglich und vertretbar zu beenden und die volle Souveränität der Bürger wieder herzustellen.

Nachtrag vom 3. April 2020

In einer Stellungnahme vom 2. April 2020 bekräftigt Landrat Ralf Reinhardt seine Haltung bezüglich den Zweitwohnsitzlern und legt Beschwerde gegen das Urteil des Potsdamer Verwaltungsgerichts ein. Laut Einschätzung eines Juristen, mit dem ich bekannt bin, entspricht die Beschwerde sachgerechtem Verwaltungshandeln, denn bisher haben Gerichte in vergleichbaren Fällen keine aufschiebende Wirkung festgestellt. Angesichts dessen dürfte dem Landrat nichts anderes als die Beschwerde übrig geblieben sein, so mein Bekannter. Ob das Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg in der Hauptsache noch vor Auslaufen der Verfügung am 19. April 2020 eine Entscheidung fällt, ist fraglich.

Angesichts von 4.000 offiziell gemeldeten Zweitwohnungen befürchtet Herr Reinhardt bis zu 8.000 zusätzliche Menschen über Ostern, die die Infrastruktur belasten könnten. OPR hat zurzeit rund 99.000 Vollzeit-Einwohner. Im Jahre 2005 waren es übrigens noch 108.00. Das heißt, die Einwohnerzahl sinkt.

Reinhardt  äußert außerdem, er empfinde es als ungerecht, Touristen auszusperren, aber andere zu ihrem Zweitwohnsitz zu lassen. Doch genau hier irrt er nach meiner Meinung: Offizielle Zweitbewohner haben ein anteiliges Recht, die Infrastruktur zu nutzen – auch in einer Krise. Sie müssen in den Notfallplänen der Behörden berücksichtigt werden.

Quellen


2. April 2020

Oliver Numrich ist Ostfriese und lebt mit seinem österreichischen Partner seit einigen Jahren teilweise in Karwe und teilweise in Berlin.

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